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Beziehung als Zwischenraum

Die Beziehung von Menschen, Tieren, Pflanzen und anorganischen Stoffen ist wie ein Raum, der zwischen den Lebewesen und Stoffen existiert. Dieser Beziehungsraum dazwischen kann durch Anziehung, Abstoßung geprägt oder neutral sein, je nachdem, welche Erfahrungen ein Mensch oder eine Gruppe gemacht hat. Erfahrungen prägen Beziehungen und die Räume zwischen den Menschen, den Lebewesen, den Stoffen und Interaktionspartnern.

Menschen erleben Erfahrungen durch die Begegnung mit anderen Menschen, anderen Lebewesen, aber auch durch die anorganische Welt. In Begegnungen und Beziehungen wirken diese Prägungen und Erfahrungen anziehend, attraktiv, liebenswürdig oder angstvoll, abstoßend und ekelerregend. Der Beziehungsraum ist damit von Vorerfahrungen geprägt.

Zwischen Fülle und Mangel

Hier ein Beispiel: Menschen lieben Gold. Gold wirkt wertvoll und attraktiv, Menschen nahmen und nehmen große Mühen auf sich, um Gold zu erwerben, zu besitzen und sich mit Gold zu schmücken. Der Raum zwischen Mensch und Gold kann damit positiv besetzt sein und als Fülle und Reichtum erlebt werden. Das Fehlen von Besitz und Gold kann als Mangel, als Gier, als Neid, als Armut und Scham zu spüren sein. 

Auch Salz als überlebenswichtiges Mineral ist für die Menschen sehr wertvoll und wurde früher sogar als Tauschmittel eingesetzt. Menschen unternahmen große Anstrengungen, um das begehrte Salz zu erhalten. Der Raum zwischen dem Menschen und den begehrten Mineralen wurde durch Handel und Handelsrouten überbrückt.

Erfahrung, Anziehung und Reflexe

Es bestehen Anziehungserfahrungen, die überliefert werden. Ähnlich wie der Magnetismus in der anorganischen Welt, so wirken erlebte Prägungen, Erfahrungen und Beziehungserfahrungen bei biologischen Wesen anziehend oder abstoßend. Hier gibt es nicht nur erworbene und tradierte Erfahrungen. Es gibt auch zahlreiche genetisch weitergegebene Erfahrungsmuster.

Angeboren und genetisch geprägt ist zum Beispiel die Höhenangst, die beim Neugeborenen schon im Mororeflex getestet und beobachtet werden kann. Angeboren sind aber auch die Abwehrreaktionen bei Schmerzreiz, die Angst vor Hunger, Kälte und Alleinsein. Das Baby weint und wendet sich ab, wenn es diese Reize spürt und erlebt.

Anders reagiert das Baby bei angenehmen Reizen. Die Geborgenheit, bei der Mutter zu sein, das wärmende und sättigende Gefühl beim Stillen – dies beruhigt und sättigt das Baby. Das Neugeborene wendet sich der Mutter zu, um Signale auszulösen. Damit erhält die Mutter Impulse, um gut für das Baby zu sorgen. Der Geruch der Mutter, der Geschmack der Milch, die Zuwendung der Mutter und ihre Stimme bilden erste prägende Beziehungserfahrungen.

Weitergabe von Erfahrungen innerhalb von Generationen und Kulturen

Die Überlebensmechanismen und Beziehungserfahrungen früherer Generationen werden, wie zuvor beschrieben, von einer auf die nächste Generation weitergegeben. Es werden Erfahrungen tradiert, die hilfreich sind. Es werden aber auch Erfahrungen, die heute weniger hilfreich sind und vielleicht früher einmal Sinn und Bedeutung hatten, weitergegeben.

Kulturen, Religionen und Gesetze lassen sich auf überlieferte Traditionen und genetischen verankerte Erfahrungen zurückführen. Aus den unterschiedlichen Erfahrungen entstehen auch Irrtümer, Vorurteile und Konflikte. Kulturen, Religionen und Staaten erlassen Vorschriften, die nicht zwangsläufig von allen geteilt werden. Und Menschen passen sich kulturell geprägten Normen an. Daraus können Konflikte, Streit und Kriege entstehen. 

Auch in Beziehungen sind diese Prägungen gut zu beobachten. So können z.B. Mensch Ängste vor Hunden entwickeln oder sie als beste Freunde lieben. Diese Vorerfahrungen können zu Konflikten führen. Der eine Partner wünscht sich einen Hund, weil in seiner Familie der Hund vertraut und geliebt war, der andere Partner droht mit Trennung, wenn der Partner sich einen Hund kaufen würde, weil er als Kind von einem Hund gebissen wurde und immer Angst erlebt, wenn Hunde in der Nähe sind.

Es scheint vormals der Wunsch entstanden zu sein, homogene Gruppen und Gesellschaften zu bilden, um Unterschiede zwischen den Menschen zu überwinden und sich zu verstehen: Vielleicht ließen sich so Konflikte, Streit und Kriege vermeiden, wenn die Menschen gleiches denken, gleiche Überzeugungen pflegen oder gleiche Interessen verfolgen. Die Folge waren Vorschriften, Gebote oder Gesetzen, die bestimmte Handlungen verpönten oder verboten. Starke Herrscher wurden berufen, um diese Ordnung aufrecht zu erhalten. Allmählich bildeten sich aus dieser Ordnungshierarchie und dem Wunsch, sich in homogene Gruppen sicher zu fühlen, gesellschaftliche Ordnungen, die sich in verschiedenen Regionen deutlich voneinander unterscheiden. Unterschiedliche soziale Formen des Zusammenlebens, meist jedoch hierarchisch geordnet, entwickelten sich. 

Auch in der Natur gesellen sich einzelne Lebewesen im Gruppen zusammen, um sich gegenseitig vor Angriffen, vor anderen gefährlichen Lebewesen oder vor den destruktiven Energien der Naturgewalten und des Lebens zu schützen. In modernen Gesellschaften bilden sich unterschiedliche Gruppen mit verschiedenen Interessen heraus. Sieverfolgen Ziele und erleben ebenfalls in den Zwischenräumen Anziehung und Abstoßung, die zu einem Verstehen, aber auch zu Konflikten, Kriegen und Zerstörung führen können.

System, Natur und Mensch

Nach und nach bildet ein System von Pflanzen, Tieren und Menschen heraus. Dieses gleicht einem Dschungel mit Wildwuchs aus Gruppen, Religionen, Nationen, Weltanschauungen. Es entsteht ein Mysterium aus Grenzen und Freiräumen. So existieren Lebensgemeinschaften, die sich gegenseitig unterstützen und andere Gruppen, die sich bekämpfen oder sich sogar wie Parasiten und Fressfeinde gegenseitig ausbeuten. Völkerwanderungen, Vertreibungen, durch Kriege, Ausbeutung, Hungersnöte waren die Folge. Weltanschauungen und Lebensstile vermischen sich. Das Zusammenleben verschiedener Kulturen, Religionen und Nationen kann sowohl Brückenfunktionen als auch als Konfliktherd angesehen werden. Je nach Status und Zugehörigkeit mache Menschen dann hilfreiche und positive, aber auch zerstörerische, bedrohliche und negative Erfahrungen. All diese Erfahrungen und Erinnerungen bilden nun wieder den Raum zwischen den Menschen, den Lebewesen und den Pflanzen, einen Raum den wir anziehend oder abstoßend erleben.

Erkenntnis und Individuum

Mit individuellem Erkennen, kollektivem Wissen und erlebter Erfahrung können wir immer wieder prüfen: Wem vertraue ich? Welcher Raum ist gerade zwischen mir und dem anderen? Fühlt sich der Raum, die Begegnung, die Beziehung/gut und sicher an? Welcher Raum zwischen mir und anderen fühlt sich bedrohlich an oder löst Gefühle der Abneigung aus?

Wir können jedoch nicht bedingungslos diesen Eindrücken, Erfahrungen und Gefühlen vertrauen, da es Gefühle der Vergangenheit sind. Jede neue Situation bietet die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu machen und alte Erfahrungen zu überschreiben: Wir erleben Überraschungen, neue Begegnungen und Beziehungen, neue Erkenntnisse, neue Moden und ganz andere Formen, um mit Problemen umzugehen. Wir können uns fragen: Welche neuen Räume zwischen mir und anderen wünsche ich mir? Wie kann ich diese neuen Beziehungen gestalten, um das zu erleben was mir und anderen guttut?

Noch lernen wir in Schulen nicht, den Raum zwischen den Menschen, Tieren und Pflanzen zu verstehen. Wir lernen lediglich, andere als Objekte zu verorten, die sich anpassen müssen – als Bürger von Nationen, als Gläubige der Religionen, als Spieler usw. Sie werden Rollenanforderungen in einer arbeitsteiligen Gesellschaft zu erfüllen haben, Ausbildungsvorschriften befolgen und später als Arbeitskräfte dem System dienen. Die Anpassung wird damit zur erlernten und erlebten Funktion, das je nach System belohnt oder bestraft wird.

Gestaltung des Zwischenraums

Es stellt sich die Frage, wie sich wertvolle Räume zwischen den Lebewesen gestalten lassen. Wir haben momentan die Aufgabe, Beziehungen und die Räume dazwischen neu zu erobern und dazu zu lernen. Wir können neu lernen, wie wir die Beziehungen zu anderen Menschen gestalten wollen. Wir können lernen, in und mit anderen Gruppen unterstützend zusammenleben. Genau diese Lernerfahrungen und Entwicklungen werden in der Zukunft den Unterschied machen.

Verharren in alten Anpassungsstrukturen und -mustern scheint nicht hilfreich zu sein. Wenn wir friedlich, ehrlich und wertschätzend miteinander leben wollen, so werden wir den Raum dazwischen, unsere Begegnungen und Beziehungen, bewusster und anders und neu gestalten müssen. Dies wird womöglich Neuland sein. Aber vielleicht wird der Mensch anders und mit Freude lernen, wird die Welt anders wahrnehmen? Als beseelte Wesen, mit unterschiedlichen Erfahrungen und Prägungen, werden andere Menschen dann nicht mehr als fremdverwertete Ressourcen und Objekte betrachtet. 

Wir könnten, gerade weil jeder von uns so individuell und besonders ist, kreativer, gesünder und zufriedener leben, als das in den bisherigen Anpassungsstrukturen der Fall war. Dafür aber müssen wir die Vorstellung und den Zwang aufgeben, der andere möge so sein, wie ich ihn haben will. Im Zwischenraum der Beziehung gibt es ausreichend Platz für Andersartigkeit.


Dr. Gertrud Müller, M.A. ist Soziologin, Verhaltenswissenschaftlerin, Psychoonkologin, Therapeutin und zertifiziert in der Interpersonellen Psychotherapie IPT nach http://www.dg-ipt.de. Dr. Müller hat an der LMU in München im Fach Philosophie zum Thema „Was ist S(s)chuld?“promoviert.

Sie ist Dozentin an der Hochschule Fresenius und an der Krankenpflegeschule der LMU in München und kann auf umfangreiche Ausbildungen verweisen, so in CBASP http://www.cbasp.awp-depression.de/. In weiteren Dozententätigkeiten widmet sie sich den Themen Sozialkompetenz, Stressbewältigung, Kommunikation und Gewaltprävention Krankenschwester, Palliativ und Hospiz.

Berufliche Erfahrungen sammelte Dr. Müller u.a. in verschiedenen Bereichen des Gesundheitssystems, so als Psychoonkologin am Rotkreuzklinikum München, als Mitglied im Ethikkomitee des Rotkreuzklinikum München und als Psychoonkologin an der Frauenklinik Dr. Geisenhofer München und Wolfart Klinik Gräfelfing.

Dr. Gertrud Müller ist glückliche Mutter von zwei erwachsenen Kindern und begeisterte Oma. In ihrer Freizeit beschäftigt sie sich mit Triathlon, Radeln, Fitness, Skifahren, Wandern, Kampfsport und Selbstverteidigung nach http://www.ewto-muenchen.de/. Ruhe findet sie bei der Gartenarbeit, in den Bergen, auf Reisen und in der Natur.

Näheres zur Arbeit von Frau Dr. Müller finden Sie unter Sie unter https://tools4life.eu.

Kontakt: info@tool4life.eu 


Titelbild: #144641332_10142431 Freepik.com


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Gertrud Müller (9. April 2025). Beziehung als Zwischenraum. Bildung - Mensch - Medien. Abgerufen am 15. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/13prv


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